Die Begrüßungsrede wurde von Herr Michael Sturm-Berger, Mitglied im Geistigen Rat der Bahá’í-Gemeinde Erfurt, gehalten.
Liebe Teilnehmerinnen & Teilnehmer unserer diesjährigen Gebetsstunde der Religionen, ich begrüße Sie heute, zum Abschluss der Interkulturellen Woche, sehr herzlich.
Wenn wir in der Geschichte nachforschen, wann in Deutschland die erste Gebetsstunde dieser Art stattgefunden haben könnte, so bemerken wir einen Bericht aus dem Jahr 1814, als in einer lutherischen Kirche der Stadt Iserlohn im Nord-Sauerland ein interreligiöses Treffen stattfand, von dem es heißt, es hätten sich „zugleich die Bekenner der drei Haupt Christlichen Parteien, ferner die (der) jüdischen, mahometanischen und der Religion des Dalai Lama versammelt. Man beschloß dieses seltene, höchst merkwürdige Ereignis durch eine … Gedächtnistafel zu verewigen ...“.
Sollte ich es also richtig sehen, blicken wir diesbezüglich auf eine über 200-jährige Tradition zurück, auch wenn dies damals eine sehr einzigartige Veranstaltung gewesen sein mag.
Wenn wir weiter zurückblicken, so fällt vor allem die Zeit zwischen 1582 & 1605 in Indien auf: Der Großmogul Akbar versammelte in jenen Jahren allwöchentlich Muslime, Hindus, Jainas, Parsen & auch Jesuiten zum Gespräch. Der Herrscher hatte die Auffassung, dass es eigentlich nur eine Religion geben könne, die sich aber in allen Religionen ausdrücke.
Die Fürbitten von Anhängern der verschiedenen Religionen seines Reiches schätzte bereits um die Mitte des 13. Jh.s der mongolische Großkhan Möngke, auch Mangu Khan genannt.
Obwohl er selber Buddhismus & Schamanismus zuneigte, besuchte er gelegentlich auch christliche Gottesdienste, zumal einige Mitglieder seiner Familie Christen waren, darunter seine Mutter, welche aber auch eine Koranschule in Buchara stiftete.
Sie erkennen daran die damalige Religions-Freiheit im Mongolenreich.
Wir könnten in diesem Jahr auch ein großes Jubiläum feiern: Vor ziemlich genau 1.200 Jahren, also im Jahr 816, fand in Merw, im heutigen Turkmenistan, eine große Konferenz der Religionen statt. Der sunnitische Khalif Ma'mun hatte dem schiitischen Imám Reza, einem Nachfahren des Propheten Muhammad in 7. Generation, seinen Palast zur Verfügung gestellt. Teilnehmer der Gespräche waren u. a. der katholische Erzbischof al-Jaseliq, der "Oberrabbiner" der babylonischen Juden, ein Hindupriester, einige Zoroastrier mit ihrem Hohepriester & Imran, der scharfsinnige Philosoph sabäischen Glaubens. Themen waren damals nicht nur die Einheit Gottes & die Sündlosigkeit der Propheten, sondern auch die Frage, ob der Islam eine für Anhänger anderer Religionen akzeptable Religion sei. Es erscheint mir bemerkenswert, dass die letztgenannte Fragestellung auch heute, nach 1.200 Jahren, wieder so aktuell ist wie damals. Das Problem wurde in jener Zeit durch die einfühlsame & exakte Argumentation, ebenso die gütige Ausdrucksweise Imám Rezas so gelöst, dass alle Anwesenden der Existenz-Berechtigung des Islams zustimmen konnten. Das Verhalten des Imáms erinnert damit an Lessings Ringparabel aus den Jahren 1778/79, deren Essenz darin besteht, dass die Mitglieder aller Religionen so gut & glaubwürdig wie möglich leben sollten, damit ihre Wahrheit für alle sichtbar zum Tragen kommt. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen & uns eine geistige, uns alle verbindende Gebetsstunde der Religionen.